Die Rechtsanwaltskanzlei GL Gerloff Liebler Rechtsanwälte aus München ist die Partnerkanzlei von BayPapier, wenn es um die Themen Krisenmanagement, Sanierung und Insolvenzschutz geht. Herr Rechtsanwalt Dr. Christian Schmitt von GL informiert in diesem Beitrag über die mit dem Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) neu eingeführte Pflicht der Geschäftsführung zur Einrichtung eines Krisenfrüherkennungssystems im Unternehmen.
Seit etwa einem Jahr, genauer seit dem 1. Januar 2021, gilt ein neues Restrukturierungsgesetz, das sog. StaRUG, das die bisher bekannten Möglichkeiten wie z. B. eine Eigenverwaltung ergänzt. Damit soll Unternehmen die Möglichkeit gegeben werden, sich mit ihren Gläubigern in einem vorinsolvenzlichen Krisenstadium auf einen teilweisen Forderungserlass und weitere Sanierungsbeiträge zum Zwecke der Unternehmensrestrukturierung zu einigen, ohne sich bereits eines förmlichen Insolvenzverfahrens bedienen zu müssen. In § 1 dieses Gesetzes hat der Gesetzgeber eine Pflicht für Unternehmensleiter zur Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement neu installiert. Diese Pflicht gilt immer, auch wenn das Unternehmen kein Sanierungsfall ist. Sie trifft alle Geschäftsleiter juristischer Personen (z.B. den Vorstand einer AG und den Geschäftsführer einer GmbH) und kapitalistischer Personengesellschaften (z.B. den Geschäftsführer des Komplementärs bei einer GmbH & Co. KG).
Die Geschäftsleiter haben danach fortlaufend alle Entwicklungen zu überwachen, welche den Fortbestand des Unternehmens gefährden können. Erkennen sie solche kritischen Entwicklungen, haben sie geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und ihren Überwachungsorganen, z.B. bei der GmbH der Gesellschafterversammlung, unverzüglich Bericht zu erstatten.
Die Pflicht zu Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement gilt zusätzlich zu den sonstigen Pflichten der Geschäftsleiter. Die Idee des Gesetzgebers ist es, dass durch die neu im Gesetz installierte Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement Insolvenzen vermieden werden können. Krisenfrüherkennung bedeutet die laufende Überwachung von Entwicklungen, die zur Bestandsgefährdung des Unternehmens führen können. Wie diese Pflicht erfüllt werden kann, gibt das Gesetz freilich nicht vor. Zwar hat der Gesetzgeber vorgesehen, dass das Bundesjustizministerium Instrumente zur Krisenfrüherkennung veröffentlichen soll. Auf der Website des BMJ finden sich aber selbst ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes keine Informationen dazu.
Im Einzelnen ist daher noch unklar, wie die Krisenfrüherkennung ausgestaltet werden soll. Anhaltspunkte können die bereits für Aktiengesellschaften und Finanzinstitute entwickelten Risikoüberwachungssysteme oder die vom Institut der Wirtschaftsprüfer etablierten Prüfstandards geben. Einigkeit herrscht weitgehend dahin, dass die Ausgestaltung der Pflicht zur Krisenfrüherkennung auf das konkrete Unternehmen, die Rechtsform des Unternehmens, seine Branche und Marktsituation, also das gesamte wirtschaftliche und rechtliche Umfeld des konkreten Unternehmens in sämtlichen Bereichen und Prozessen, angemessen abzustimmen ist. Als Faustregel dürfte gelten: je größer und komplexer das Unternehmen, desto umfangreicher ist zu prüfen. Krisenfrüherkennung wird als Bestandteil eines umfassenden Risikomanagements zu sehen sein, welches ausnahmslos auch kleinere und mittlere Unternehmen (mit freilich geringerer Prüfungstiefe) zu implementieren haben.
Kern der Krisenfrüherkennung dürfte eine betriebswirtschaftlich getriebene Betrachtungsweise sein; sie setzt eine integrierte Planung aus Liquiditäts-, Ertrags- und Bilanzplanung voraus. Das erforderliche Zahlenwerk dürfte aus den in jedem Unternehmen vorhandenen Daten ableitbar sein (z. B. OPOS Listen der Buchhaltung, etc.). Das Krisenfrühwarnsystem muss in der Lage sein, die Entwicklungen der verschiedenen Krisenstadien (Stakeholderkrise, Strategiekrise, Produkt- und Absatzkrise, Ertragskrise, Liquiditätskrise) zu erkennen. Potentielle interne und externe Risiken sind zu identifizieren und nach Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkungen auf die Unternehmensliquidität und damit den Unternehmensbestand zu gewichten; Szenarien und deren Auswirkungen auf den Bestand des Unternehmens sind zu berechnen. Wesentliche zu beobachtende Themen sind z. B., die Entwicklung der Liquidität, etwaige Forderungsausfälle, Preisentwicklungen bei Vorprodukten und Energiekosten, arbeits- oder steuerrechtliche Risiken, kritische Probleme in der Lieferkette, Materialverfügbarkeit, pandemiebedingte Einflüsse etc.
Um den Mindestanforderungen zu genügen, ist rechtsträgerbezogen eine rollierende 24-Monats-Liquiditätsplanung einzuführen – idealiter bzgl. der nächsten 13 Wochen auf Wochenbasis, im Übrigen auf Monatsscheiben. Damit kann die Geschäftsleitung die voraussichtliche Liquiditätsentwicklung im Unternehmen im krisenrelevanten Zeitraum überwachen und dies auch dokumentieren. Zudem verlangt der Gesetzgeber, dass die Krisenüberwachung fortlaufend erfolgt, was zum Teil als Pflicht zur täglichen Überwachung verstanden wird.
Neben der fortlaufenden Pflicht zur Krisenfrüherkennung ist der Geschäftsleiter auch verpflichtet, bei Erkennen solcher Entwicklungen mit geeigneten Maßnahmen zur Abwehr einer Krise gegenzusteuern, und auch die Überwachungsorgane einzubinden.
Zum Zwecke der Haftungsvermeidung ist zudem eine ausreichende Dokumentation des Krisenfrüherkennungssystems, der analysierten Risiken und deren Bewertung nach Eintrittswahrscheinlichkeit und potentieller Schadensauswirkung, sowie der zur Gegensteuerung ergriffenen Maßnahmen, erforderlich.
Implementiert ein Geschäftsleiter nicht solch ein Krisenfrüherkennungssystem verstößt er gegen seine Sorgfaltspflichten. Für deswegen eingetretene Schäden kann er dann persönlich haftbar gemacht werden. Dergleichen gilt, wenn er nach Identifikation solcher Krisenelemente keine geeigneten Maßnahmen zum Gegensteuern einleitet, oder die Überwachungsorgane nicht involviert. Ohne Krisenfrühwarnsystem wird er sich bei seinen unternehmerischen Entscheidungen nicht auf den safe haven der sog. business judgement rule berufen können. Denn er wird sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, seine Entscheidungen ohne valide Daten- und Informationsbasis getroffen zu haben. Dies triff auch Geschäftsführer sog. KMUs. Das Gesetz macht hier keinen Unterschied.
Es empfiehlt sich daher dringend, sich mit dem Steuerberater des Unternehmens oder anderweitiger geeigneter Berater zur Einführung eines solchen Krisenfrühwarnsystems abzustimmen.
RA Dr. Christian Schmitt
Gerloff Liebler Rechtsanwälte
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